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Wenn Eternal Flame den Algorithmus zerstört. Oder: Keine Chance für Kroll und Proll.

Wenn Eternal Flame den Algorithmus zerstört. Oder: Keine Chance für Kroll und Proll. 2089 - Die analoge Revolte vom Maxe Musik Theater.

Mit dem Stück „Die analoge Revolte“ von Hans Irler (im Original: Die Hierlinger-Revolte) schafft die Musik-Theater-AG eine deutliche Entwicklungssteigerung im Vergleich zum letzten Jahr – sowohl in musikalisch-instrumental-kompositorischer als auch in gesanglicher Hinsicht.

 

Der musikalische Auftakt mit einer neu arrangierten Version des Kraftwerk-Songs „wir sind die Roboter“ weckte auf und ließ erahnen, dass die Arrangements von Timo Kreis und Malik Kerschek in diesem Jahr eine ganz neue Qualität haben würden. Dies zeigte sich in allen Phasen – aber immer auch, wenn die kleinen Umbaupausen von der Musik des Schulorchesters überbrückt worden sind: Einfach Klasse! Die gesangliche Steigerung des Ensembles konnte bei „Computer Nr. 3“ gehört werden. Der Titel von France Gall musste kaum neu arrangiert werden – er passte sehr gut in die Geschichte und der spezielle Charme der ursprünglichen Interpretin wurde super in den Abend übertragen von Kyra Fitzner, Laura Kamenskich und dem Chor.

 

Die Story selbst ist einfach erzählt: Die Scholares des Jahres 2089 werden total überwacht: Bewegungskontrolle, Fitnesskontrolle, Gefühlskontrolle, Lebenskontrolle erfolgt durch den Algorithmus eines technischen Gerätes, der „Be-Better-Box“. Durchbrochen wird diese Kontrolle von Gefühlen, die authentisch sind und nachdenklich machen: Kann es sein, dass der Computer irrt, wenn er mir einen Menschen zuordnet, den ich nicht mag? Darf ich den Algorithmus in Frage stellen, wenn meine Gefühle mir sagen, dass ich mich zu einem anderen Menschen hingezogen fühle, obwohl der Algorithmus sagt: Das kann aufgrund der objektiven Werte nicht sein? Hier ist der Bruchpunkt in der Handlung. Unterstützt – wie sollte es anders sein – von Werken der Weltliteratur, die sich intensiv mit Gefühlen, Zweifeln und unwägbaren Situationen auseinandersetzen. Paperbooks statt E-Books. Original-Literatur statt gekürzte WikiPedia-Lektüre. Sehnsucht nach Echtheit. Super ausgedrückt durch den bekannten Song „Streets of London“, gesungen von Joanna Steineker, die wir gerne in den nächsten Jahren wieder hören wollen. Wie hieß es dann später im Stück: Wir wollen das Recht auf Liebeskummer – und keine kontrolliert digitale Langeweile bei der Suche nach der echten und einzigen Liebe. Das Recht auf Liebeskummer wurde mit dem Stück „I Want You Back“ gesanglich platziert – leider konnte bei der Premiere das Stimmpotential von Lenia Lange nicht ganz von ihr mobilisiert werden – aber auch sie ist eine tolle Verstärkung im Gesangsbereich.

 

Das Publikum wollte dann auch endlich Kaspar singen hören – gespielt von Julia Moldenhauer. Mit „Never Take Us Alive“ wurde im Stück dann die entscheidende Phase eingeläutet: Künstlerisch mit dem kraftvollen und gleichsam gefühlvollem Gesang von Julia Moldenhauer zusammen mit Joana Steineker – und dem ausgewählten Song, der textlich deutlich machte: Eigentlich geht es um alles – nicht nur um die Beendigung einer digitalen Kontrolle, sondern um die Befreiung des Individuums. Was dann noch einmal verstärkt wurde durch die Teamleistung mit Gesang und Choreo bei „Another Brick in The Wall“: Die klassische Mahnung an die Welt, dass Menschen sich isolieren und abschotten und zu Grunde gehen, wenn sie ihre Individualität nicht leben können. Musikalischer und künstlerischer Höhepunkt des Abends war dann „Eternal Flame“, wo Julia Moldenhauer das „Kleine Haus“ mit ihrer Stimme und ihrer Performance in den Bann zog.

 

Nicht vergessen möchte ich: Die schönen Minuten mit Josefine Ziolkowski und Diba-Diana Saffarie, die tolle Rede von Malik Kerschek und Sina Widmer beim Schülerstreik, die einfache und geniale Erfindung der „Be-Better-Box“ und das aufwendige, schöne und gelungene Bühnenbild. Und natürlich „Kroll“ und „Proll“. Die Technik war bei dieser Aufführung exzellent – die Sorgen, die die verantwortlichen leitenden Lehrkräfte, Anders Becker und Sylvia Köpke hatten, dass das jüngere Ensemble ein Problem sein könnte, haben sich nicht bestätigt. Es war ein toller Abend – auch vor dem Hintergrund, dass solche Produktionen dann eigentlich mehr als dreimal gespielt werden, um ein größeres Publikum zu erreichen. Die Energie, mit dem das Team eine Leistung bringt für zwei Abende: Chapeau!

 

Schlussgedanken: Das Protestschild „Lasst Bücher sprechen“ hätte die Dialektik der Problematik von Digitalisierung und dem Bestand von Kulturtechniken nicht besser zusammen fassen. Denn heute können Bücher sprechen, aber die, die die Bücher lesen, müssen sich nicht der digitalen Vollkontrolle unterwerfen. Auch wenn sie sich E-Books vorlesen lassen (können). Das Denken lässt sich nur schwer digitalisieren – auch wenn die Zukunft mit KI uns, als Menschen und als Gesellschaft, vor ganz neue Herausforderungen stellen wird. Die Frage ist, ob dafür eine analoge Revolte im Bildungssystem reichen würde. Die Haltung des Ensembles dazu konnten wir dazu aufnehmen, wenn wir wollten.

 

 

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