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Urlaub auf Sylt. Oder: Brauner Strand auf Westerland.

Vor zehn Jahren, also 2014, passierte etwas auf Sylt: Am 31. Juli 2014 wurde am Eingang des Sylter Rathauses, in dem der ehemalige Bürgermeister Reinefarth mehr als zehn Jahre ein- und ausgegangen war, eine Mahntafel zur Erinnerung an die Opfer des Warschauer Aufstandes, auf welcher sich die Gemeinde von ihrem früheren Bürgermeister distanziert. Warum wurde diese Mahntafel aufgehängt?

 

Wer war der ehemalige Bürgermeister Reinefarth? „Heinz Reinefarth war der einzige SS-General des Dritten Reiches, der nach 1945 auf Länderebene ein politisches Amt innehielt. Der Jurist, geboren 1903 in Gnesen in der damaligen preussischen Provinz Posen, machte innerhalb des nationalsozialistischen Besatzungsapparates eine steile Karriere: Gefördert durch seinen Mentor Kurt Daluege, Chef der deutschen Ordnungspolizei und Nachfolger von Reinhard Heydrich als Stellvertretender Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, wurde Reinefarth 1942 zum Oberaufseher über die Protektoratsverwaltung ernannt und avancierte Anfang 1944 zum Höheren SSund Polizeiführer im sogenannten „Reichsgau Wartheland“. Das formell dem Deutschen Reich eingegliederte Gebiet im heutigen Polen war ein zentraler Schauplatz der brutalen nationalsozialistischen Vertreibungs-, Vernichtungs- und Germanisierungspolitik. Im August 1944 war Reinefarth als Kampfgruppenkommandant massgeblich verantwortlich für die Niederschlagung des Warschauer Aufstandes. Im Rahmen militärischen Vorgehens setzte er einen Befehl des Reichsführers SS Heinrich Himmler, nach welchem sämtliche nichtdeutschen Einwohner Warschaus unterschiedslos umzubringen waren, in die Tat um. Als direkte Konsequenz kamen insbesondere im Stadtteil Wola mehrere zehntausend polnische Zivilisten ausserhalb der eigentlichen Kampfhandlungen ums Leben. Das „Massaker von Wola“ stellte eines der grössten deutschen Kriegsverbrechen des Zweiten Weltkrieges dar und gleichzeitig einen Angelpunkt der lange Zeit gespaltenen polnischen Erinnerungskultur in Bezug auf den gewaltsamen Widerstand gegen die deutsche Besatzung.“ [1] Wie erging es Heinz Reinfarth nach 1945? Wikipedia hift: Reinefarth verbrachte bis 1948 drei Jahre in amerikanischer Kriegsgefangenschaft. Einige Male wurde er nach Nürnberg verlegt, um vor dem Internationalen Militärgerichtshof auszusagen; es kam jedoch zu keiner Aussage. Einem Auslieferungsverlangen Polens wurde nicht stattgegeben. 1948 wurde Reinefarth nach Hamburg in die britische Zone überstellt. Auch die Briten lehnten 1950 Reinefarths Auslieferung nach Polen ab. Der Hintergrund war, wie der Historiker Philipp Marti 2012 herausfand, eine geheimdienstliche Tätigkeit Reinefarths für den amerikanischen CIC.[2] Im Entnazifizierungsverfahren sprach ihn das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf 1949 von jeder Schuld frei. Vom Flensburger Entnazifizierungs-Hauptausschuss wurde sogar festgestellt, „der Betroffene habe nicht nur in seinem militärischen, sondern auch in seiner ganzen politischen Gegeneinstellung zum Nationalsozialismus wiederholt Leben und Stellung aufs Spiel gesetzt“ [3] und Reinefarth in die Kategorie V (Entlasteter) eingestuft.

 

Die Ortsgruppe des „Heimatbundes Deutscher Ostvertriebener“ schlug ihn im Herbst 1950 als Flüchtlingsbeauftragten der Stadt Westerland auf Sylt vor, wo er sich nach dem Krieg mit seiner Familie niedergelassen hatte. Im selben Jahr wurde er auch wieder als Rechtsanwalt zugelassen. Von Dezember 1951 bis 1964 war er Bürgermeister von Westerland. Bei der Landtagswahl im September 1958 wurde Reinefarth in den Schleswig-Holsteinischen Landtag gewählt, zunächst für den  GB/BHE, der 1961 mit der Deutschen Partei zur Gesamtdeutschen Partei fusionierte. Der DEFA-Dokumentarfilm Urlaub auf Sylt von Annelie und Andrew Thorndike aus dem Jahr 1957 rückte erneut Reinefarths nationalsozialistische Vergangenheit in den Vordergrund. Nach seinem durch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft erzwungenen Rückzug aus der Politik war Reinefarth ab 1967 erneut als Rechtsanwalt in Westerland tätig. Die Ermittlungen gegen ihn wurden ohne Anklage eingestellt. Reinefarth starb am 7. Mai 1979 auf Sylt und wurde auf dem Friedhof Sylt-Keitum beigesetzt.[4]

 

Um auf meine Eingangs gestellte Frage zurückzukommen: Warum wurde die Mahntafel aufgehängt?

Einerseits hat Phillip Marti seit 2011 an einer wissenschaftlichen Untersuchung gearbeitet – die auf 400 Seiten die Verbrechen des Heinz Reinefahrt bewiesen. Und andererseits bekommt die Pfarrerin der evangelischen Gemeinde von Westerland auf Sylt, Anja Lochner, hat im Januar 2013 eine Mail aus Polen. „Ist Ihnen bewusst, dass Ihr ehemaliger Bürgermeister Heinz Reinefarth der Henker von Warschau ist?“, fragt der Absender.“ Die Pfarrerin hat dann recherchiert, und endlich hatte auch der einzige, der immer schon wollte, dass sich die Gemeinde von Heinz Reinefarth distanzierte, eine Bündnispartnerin: „Als Ernst Wilhelm Stojan davon erfährt, dass Pfarrerin Lochner „die Sache“ mit Reinefarth aufklären will, freut er sich. Endlich hat er eine Verbündete! 60 Jahre lang war Stojan auf der Insel der Einzige, der über Reinefarths Verbrechen sprechen wollte. Stojan ist langjähriger SPD-Kommunalpolitiker. Er war Bürgervorsteher in Westerland und Landtagsabgeordneter. Reinefarths ganze Karriere hat er beobachtet. „Die Leute haben ihn gemocht“, sagt er. Er spricht schnell, schüttelt den Kopf, als ob er es immer noch nicht richtig begreifen könne. Reinefarth sei hilfsbereit gewesen, habe sich engagiert, und vor allem war er ein guter Verwalter. Er kümmerte sich um die Stadt. „Ein freundlicher Mensch, ein guter Verwalter – damit war das Thema Verbrechen für die Leute beendet“, sagt Stojan.[5] An all dies musste ich denken, als vor kurzem auf Sylt Nazi-Parolen gesungen und gefilmt wurden. Auf der Website von Sylt findet sich kein Hinweis auf Reinefarth, nur ein Hinweis auf den Film der DEFA von : "1958 wird auch ein Film ausgestrahlt, den manch ein Sylter gerne verhindert hätte und der ein bestürzendes Stück deutsche Nachkriegsgeschichte beleuchtet, mit deren Aufarbeitung auf Sylt erst 2014 ernsthaft begonnen wird. »Urlaub auf Sylt« lautet der harmlose Titel eines Dokumentarfilms, der die NS-Vergangenheit des damals amtierenden Westerländer Bürgermeisters Heinz Reinefarth beleuchtet."

 



[2]) Vgl.: Philipp Marti: Die zwei Karrieren des Heinz Reinefarth. Vom „Henker von Warschau“ zum Bürgermeister von Westerland. In: Demokratische Geschichte. 22, Malente 2011, S. 167–192. (online hier)beirat-fuer-geschichte.de, S. 176f.

[3]) Vgl.: Landtagsdrucksache 18-4464, S. 499. Abgerufen am 27.05.2024.

 

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