Nutella mag ich nicht besonders. Trotzdem esse ich es zur Zeit auf Dienstreisen morgens im Hotel auf einem Brötchen. Das hängt zusammen mit einer Kollegin, nein, einer Vorgesetzten und Kollegin, mit der ich fast auf den Tag genau 25 Monate eng zusammengearbeitet habe. Wir haben gemeinsam das gemacht, was in der Management-Sprache „Qualitäts-management“ heißt. Übersetzt bedeutet das einfach Kontrolle. Kontrolle darüber, ob alles so läuft, wie es laufen sollte und wie es vorgeschrieben ist und wie es geplant worden war. Diese Kontrolle durchzuführen, nennt sich dann „internes Audit“. Ein solches Audit mit einer sachlichen Art durchzuführen, ist dabei selbst-verständlich. Und dann auch immer Wege zu finden, wie Dinge, die nicht so gut laufen, wieder ins Lot zu bringen, versteht sich dabei auch von selbst. Meine Kollegin und Vorgesetzte war eine Meisterin darin, und wenn ich die Gelegenheit hatte, sie bei ihrer Arbeit direkt zu begleiten, war ich immer begeistert von ihrer trockenen Sachlichkeit, die Fehler beschreiben konnte, ohne die Stimme zu heben, die Fehler aufdecken konnte, ohne einen Vorwurf in die Stimme zu bekommen – und die immer auch ein Herz für die Kolleginnen und Kollegen hatte, in Situationen, wo zu sehen war: Es ging unter diesen Umständen einfach nicht besser. Mir wird zwar zugeschrieben, dass ich ein Typ bin, der auf Ausgleich zählt, der zwar Konflikte nicht scheut, aber eigentlich immer alle „mitnehmen“ will. Für diese spezielle Arbeit war meine Vorgesetzte und Kollegin ein tolles Vorbild und eine ewige Ausbilderin für mich. Zwei Beispiele: Wir kommen auf einer Dienstreise an dritten Tag an, und ich werde zusammen mit meiner Kollegin und Vorgesetzten auch an diesem dritten Tag sehr freundlich begrüßt. Was sagt meine Vorgesetzte ganz trocken und beiläufig: „Alle freuen sich immer so sehr, wenn Sie vorbeikommen, Herr Olczyk“. Das habe ich erst als Kompliment aufgefasst – erst nach ein paar Tagen wurde mir bewusst, dass es auch anders von mir hätte aufgenommen werden können. Wenn die Kontrolleure kommen – und alle freuen sich: Ist das dann wirklich gut? Oder könnte es sein, dass es auch bedeuten könnte: Wenn jeder dich mag, nimmt keine Dich ernst. [1] Zweites Beispiel: Wir haben eine Online-Meeting, es geht um Details in der Dokumentation. Die Sachlage ist die: Mehrere Monate hatte ich versucht, Klarheit darüber zu vermitteln, wie es denn besser und nachvollziehbarer dokumentiert werden kann. In der Prüfung konnte das dann leider nicht festgestellt werden. Nach der Prüfung sagt meine Kollegin zu mir: „Herr Olczyk, ich konnte merken, dass sie sauer waren. Das geht nicht.“ Sauer? Ich? Habe ich erstmal abgestritten, um dann einige Stunden später nach einigem Nachdenken festzustellen: Ja, ich war wohl sauer. Die Konsequenz: Es war das letzte Mal, dass ich „sauer“ geworden bin. Leider kann ich jetzt nicht mehr von meiner Vorgesetzten und Kollegin lernen. Sie ist vor einem Jahr verstorben. Ganz plötzlich. Eine Sache mache ich daher, die sie auch immer gemacht hat, wenn ich mal wieder unterwegs bin: Ich esse morgens eine Nutella-Brötchen. Und höre ihre Stimme: „So lecker“.
[1]) Wehrle, Martin: Wenn jeder Dich mag, nimmt keiner Dich ernst. Sagen, was man denkt. Bekommen, was einem zusteht. Mosaik-Verlag, 2023.
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