· 

Politik für Millionen oder Politik für Millionäre

Wir stellen uns das einfach mal vor: Armin Müller-Stahl, der im letzten Bundestagswahlkampf zu den Menschen aus der Film- und Kulturbranche gehörte, die Olaf Scholz als Bundeskanzler wollten, verkündet presseöffentlich, dass er bei der nächsten Bundestagswahl sich nicht mehr für Olaf Scholz einsetzen würde. Sondern verkündet, dass er eine sehr hohe Geldsumme für den Wahlkampf der SPD nur dann zur Verfügung stellen würde, wenn Boris Pistorius sofort als Kanzlerkandidat nominiert werden würde. Das können wir uns hier in Europa nicht so richtig vorstellen – und das ist gut so. In den USA ist das eher normal. So forderte George Cluny Anfang Juli 2024, dass sich Biden von der Kandidatur zurückziehen sollte. Seine Begründung: Er hätte die Sorge, dass Biden gegen Trump verlieren würde. [1] Die  Wahlkämpfe in den USA sind extrem kostspielig. Das Geld dafür sammeln sog. PACs, politische Aktionskommittees. Im Falle von Biden, der die Vorwahlen gewonnen hatte, verkündigten die größten Spendensammel-Kommittees, dass sie zugesagte Zahlungen zurückhalten würden, wenn Biden sich nicht aus dem Wahlkampf zurückzieht. Das tat er denn auch, knapp 10 Tage, nachdem die ersten Drohungen publik geworden waren, Spendengelder könnten zurückgezogen werden, falls Biden bleiben sollte. Simon Hersh schreibt dazu im Beitrag „Leaving Las Vegas“: Hersh schreibt: „Am Sonntagmorgen (21. Juli) rief Obama Biden nach dem Frühstück an und sagte ihm: ‚Hier ist der Deal: Kamala hat zugestimmt, sich auf den Verfassungszusatz 25 zu berufen.‘“ Konkret: Wenn Biden nicht freiwillig das Handtuch werfe, würden Vizepräsidentin Kamala Harris und das Kabinett den Präsidenten unter Berufung auf den Verfassungszusatz 25 für amtsunfähig erklären und absetzen. Wenige Stunden nach dem Telefonat kündigte Biden in den sozialen Medien seinen Rückzug an und schlug seine Stellvertreterin Harris als Ersatzkandidatin für die Wahl im November vor.[2] Natürlich habe ich auch gesehen, dass Biden mit seiner Kandidatur nicht erfolgreich sein kann. Denn das Zitat auf dem Foto, dass ich diesem Beitrag beigefügt habe, hat er in einem vorbereiteten Interview wirklich so gesagt. Also ist es gut, dass Kamala Harris in den Wahlkampf eingestiegen ist. Aber ob sie es schaffen wird, die Menschen davon zu überzeugen, dass die fehlerhafte Politik der Demokratischen Partei der Vergangenheit angehört. Die Einschätzung von Wissenschaftlern über Biden ist dabei klar: „Präsident Biden unterscheidet sich von früheren Präsidenten – sowohl Demokraten als auch Republikanern – dadurch, dass er wirklich entschlossen ist, seine Macht nicht dazu zu nutzen, den Gewerkschaften zu schaden. Während andere frühere Präsidenten möglicherweise großen Druck auf die Gewerkschaftsführer ausgeübt haben, nutzt Präsident Biden seine Macht, um Druck auf die Unternehmen auszuüben.“ (…) Aber auch hier besteht der Unterschied darin, dass Biden echtes politisches Kapital zugunsten der Gewerkschaften in einem zutiefst gespaltenen Amerika nutzt. Er gibt sein relativ begrenztes politisches Kapital als Präsident in einer sehr gespaltenen Nation und in einer gespaltenen Partei aus, und zwar für die Arbeiterbewegung. Es gibt keinen anderen Präsidenten, der das getan hat.[3] Zumindest Joe Biden hat verstanden, dass ein Präsident auch für diejenigen das sein muss, die keinen College-Abschluss haben. Vielleicht hat er das Buch „Tod aus Verzweiflung. Der Untergang der amerikanischen Arbeiterklasse und das Ende des amerikanischen Traums gelesen“: „Das politische System befindet sich im Würgegriff der Lobbyisten und ist in Anbetracht des Umstandes, das die Parlamentarier auf finanzielle Unterstützung angewiesen sind, immer mehr zum Kriegsschauplatz für konkurrierende wirtschaftliche und berufliche Interessen geworden. Der Kongress, der in einer besser funktionierenden Demokratie die Interessen der Mehrheit geschützt hätte, hat diese weitgehend ignoriert. Das Recht, dass die Schwachen vor Vorteilsnahme durch die Starken schützen müsste, leistet dem Umbruch immer mehr Vorschub. Inzwischen hat der Sheriff von Nottingham in Washington Quartier bezogen und die Freunde und Helfer des kleinen Mannes sind abgerückt. Von Robin Hood keine Spur.“ [4] Ob Joe Biden dieser Robin Hood war - bald wissen wir, ob es war.

 



[1]) Vgl. Zweifel am US-Präsidenten. Schauspieler George Clooney fordert Biden zu Rückzug auf – Sorge vor Niederlage gegen Trump. dpa | 10.07.2024. https://www.dk-online.de/deutschland-welt/politik/artikel/schauspieler-george-clooney-fordert-joe-biden-zu-rueckzug-auf-47401061.

[2]) Vgl. Schmeller, Raphael: Biden-Rückzug: Hat Obama im Hintergrund die Fäden gezogen? Laut dem Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh hat Obama Biden zum Rückzug aus dem Rennen um das Weiße Haus gezwungen. Ausschlaggebend seien wichtige Geldgeber gewesen. Berliner Zeitung vom 30.07.2024.

[3]) Vgl. Caroline Mimbs Nyce: Is Biden the Most Pro-Union President in History? The labor historian Erik Loomis discusses the president’s intervention on behalf of railway workers. https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2022/09/biden-railroad-labor-unions-deal-erik-loomis/671445/

[4]) Vgl. Case, Anne / Deaton, Angus: „Tod aus Verzweiflung. Der Untergang der amerikanischen Arbeiterklasse und das Ende des amerikanischen Traums gelesen, S. 368.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0