Oder: Lässt der europäische Islam die Kirche im Dorf?
Unbeachtet von den überregionalen Medien hat vom 1. bis 7. November 2002 die 2. Bremer Islam-Woche stattgefunden. Das Motto „Nur wer zuhört, kann auch antworten“. Eine 20-köpfige Planungsgruppe aus VertreterInnen der islamischen Einrichtungen und öffentlichen Institutionen hatten ein abwechslungsreiches, kulturelles und politisch brisantes Programm zusammengestellt. Insgesamt 90 Vorträge, Diskussionen, Workshops, Ausstellungen, Konzerte –über: „Frau und Mann im Islam“, die „aktuelle Lage der Muslime in Deutschland“, den „Islam als Selbstdefinitionsquelle der Migranten“, über „spirituelle Aspekte des islamischen Gebets“, über den alevitischen Glauben, über Gewalt und Dialog informierten sich knapp 4.000 Menschen. Oder sie nutzten die Tage der offenen Tür in den Moscheen oder sahen die „tanzenden Derwische des Mevlevi-Ordens“. Kinder konnten Geschichten über den Fastenmonat Ramadan hören. Hören konnte man auch, dass im 19. Jahrhundert an der Waterkant „muslimische Piraten“ gefürchtet waren, die die „humanisierende Wirkung des Christenthums“ bisher nicht erfahren konnten. Solche gezielt eurozentrismuskritischen Töne des Vereins Jacobsweg e.V. waren die Ausnahme.
Von DGB bis Sparkasse, von der Kuba Moschee bis zum Unternehmensverband – die Unterstützerliste war lang – wie 1997. 2002 ist das Publikum aber anders: Gekommen waren die Akteure aus den Stadtteilen, die Sozialarbeiter, Streetworker, Gemeinde- und Jugendzentrums- und Kirchenaktivisten. 1997: Euphorie bei den durchführenden Gruppen, Neugier und Wohlwollen bei interessierten BremerInnen - eine große Aufgeschlossenheit. 2002: Eine Mischung aus Selbstfindung und Positionierung der islamischen Gruppen - Gräben zwischen den verschiedenen Kulturen. Von der Aufbruchsstimmung, von dem Willen, intensiv und lange hinzugucken, zuzuhören und voneinander zu lernen ist nicht mehr so viel zu spüren.
Eine der Ursachen: Es gibt die sog. „Bassam-Tibi“isierung“ und den Thesen vom „Euro-Islam“ einfache Lösungen: Die Muslime müssen die Trennung von Staat und Religion akzeptieren und den universellen Anspruch des Islam aufgeben. Tibi: „Seit der Wandlung Europas vom "christlichen Abendland" zur säkularen westlichen Zivilisation bedeutet Dialog hier: diskursiver Austausch, nicht aber Missionierung Andersgläubiger.“[1] Wer dies nicht akzeptiere, bleibt außerhalb der pluralistischen europäischen Moderne. Und: „Die historische Beziehung zwischen der christlich-europäischen und der islamischen Zivilisation ist durch gegenseitige Bedrohung, aber auch durch gegenseitige Faszination gekennzeichnet. Mit kriegerischen Mitteln - Dschihad einerseits, Kreuzzüge andererseits - wollte die eine Zivilisation die andere unterwerfen. Dieses kriegerische Bewusstsein ist im Islam bis heute lebendig geblieben. Auf westlicher Seite hat dagegen die Faszination obsiegt.“ [2]
Trotz aller Faszination nahm Bernd Neumann (CDU) an der Auftaktveranstaltung nicht teil: Er wolle „islamisch-extremistische Gruppen“ nicht als „normale Gesprächspartner bzw. als Sprachrohr der Muslime akzeptieren“. Übersetzt: Distanzierung von Milli Görus erwünscht. Milli Görus muß sich seit mehreren Jahren gegen den Vorwurf wehren, eine extremistische Ausländerorganisation zu sein, die ihre finanziellen Quellen verschleiert und sich in den Grundzügen integrationsfeindlich verhält. Der Schirmherr der Islam Woche Henning Scherf, hält davon nichts: „Wir wollen nicht über Muslime reden, sondern mit ihnen. Die kritische Auseinandersetzung ist dabei nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.“ Das gilt dann für alle, die das Alltagsleben der 40.000 Muslime in Bremen begleiten – auch für Muslime von Milli Görus, die gerade in Bremen den interreligiösen Dialog konstruktiv mitgeprägt haben.
Sogar MiIlli-Görus-Kritiker Eberhard Seidel (taz) musste sich auf der Abschlußveranstaltung „Milli Görus zwischen Religionsgemeinschaft und politischer Kaderorganisation“ der Kritik stellen, dass er die Veränderungen bei Milli Görus, die Zubewegung auf die bundesrepublikanische Realität nicht wahrnimmt. Die Modernisierung von Milli Görus sei kein politisches Kalkül, sondern ein Sinneswandel: Es gäbe für die in Deutschland lebenden Muslime keine andere Heimat mehr. Immerhin: Seidel schaffte es, zuzugeben, dass es in Bremen vielleicht anders sei, als er es aus Berlin kenne. Wo laut einer Report-Sendung aus dem Jahr 2000 der steigender Erfolg von Milli Görus bei der Errichtung einer Gegengesellschaft daran zu messen sei, dass in vielen türkischen Läden in Kreuzbergs kein Alkohol verkauft werde. Aber ein deutlich höheres Niveau erreichte die Debatte in Bremen anschließend auch nicht: Der Bremerhavener Schuldezernent Weiss (SPD) wollte eine muslimische Praktikantin mit Kopftuch in die Schule lassen - das störe den Schulfrieden seiner Ansicht nach nicht. Die CDU wollte das nicht dulden – und drohte mit Krach. Den gab es dann im Landtag bei einer aktuellen Stunde: Heftige Debatten - Bildungssenator Lemke musste (?) deutlich machen, dass er auch gegen Kopftücher bei Praktikantinnen ist.
Positives Fazit: Das Niveau der Debatte in Europa kann noch gehoben werden: „Einen interreligiösen Dialog oder vielmehr ein alltägliches Zusammenleben der drei großen monotheistischen Religionen gab und gibt es, wenn auch aktuell aus politisch bedingten Gründen, unter schwierigeren Bedingungen in der Heimatregion des Islam seit Jahrhunderten. Bestimmte Vorstellungen vom Islam würde so mancher arabische Christ als Resultat eines rassistischen Araberbildes auch als Beleidigung seiner Selbst zurück weisen.“[3] Es geht wohl insgesamt darum, in vielerlei Hinsicht erst einmal die Entstehung „unseres“ Islambildes zu rekonstruieren, bevor „Europa“ diskursfähig ist. Die Bremer Islam-Woche hat dazu einen wichtigen Beitrag dazu geleistet.
Literaturhinweise:
[1]) Vgl. Bassam, Tibi: Selig sind die Belogenen. Der christlich-islamische Dialog beruht auf Täuschungen - und fördert westliches Wunschdenken. Essay. In: Die Zeit. Nr. 23 (2002).
[2]) ebd.
[3] Eisermann, Frank: Halbmond vor der Waterkant. Vortrag zur Islamwoche. Hg.: Jacobsweg e.V.
November 2002, erschienen in spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, Heft 128, Ausgabe 6/2002.
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