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Drop your tools. Oder: Funktionär kommt von Funktionieren ...

Drop your Tools

Drop your tools. Oder: Funktionär kommt von Funktionieren.

Funktionär kommt von Funktionieren - so habe ich das in den 70er Jahren von meinen Bezirksgeschäftsführer Fred Cordes gelernt. Und: Freundschaft, Ordnung, Disziplin – das waren die Werte, mit denen die Partei nach innen und außen organisatorisch geführt wurde. Gleichberechtigt neben den sozialdemokratischen Grundwerten. Einfache Begriffe, die viel mehr Nachhaltigkeit enthielten, als mir damals bewusst war. Diese Begriffe und die sozialdemokratischen Grundwerte strukturierten wie ein Wertekanon das alltägliche Handeln und Denken.

Wie auch immer – gestern oder heute – dies aufgefasst wurde und wird. In unserer modernen Zeit muss alles ja eher etwas umfangreicher in einem Diskurs erörtert werden. Angesichts des beginnenden Diskurses von Heiko Wessel u.a. in spw 149 und des Artikels daraufhin von Klaus Tovar in spw 150 beschleicht mich eine Sorge: Die Personalentwicklung (kurz: PE) wird strapaziert, ohne genau zu sagen, was beide darüber denken. Beide Artikel leiden darunter, dass zu viele Allgemeinplätzchen gebacken wurden und wohl zuviele Rechtfertigungssequenzen geschrieben werden mussten. Also: Etwas Theorie vorweg.

Personalentwicklung: Individuell und systemisch

PE ist die Aufgabe und Disziplin zur Förderung der Unternehmens- oder Organisationsentwicklung durch zielgerichtete Gestaltung von Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozessen. Lernen im Unternehmen und auch in Organisationen wird immer wichtiger. Die hoch spezialisierte PE von Führungskräften und Mitarbeitern mit Kundenkontakt (also: den WählerInnen und den Mitgliedern) gewinnt neben der rein fachlich notwendigen Basiskenntnisse von Parteiengesetz bis Plakatekleben weiter an Bedeutung. Strategische PE ist Teil der Unternehmensstrategie und leitet sich daher von der Unternehmensvision und den Unternehmenszielen ab. Dies geschieht in der Regel durch eine Bedarfsanalyse. Die geforderten Qualifikationen und Kompetenzen werden mit den aktuellen verglichen und so der Schulungs- und Entwicklungsbedarf ermittelt. Die Bedarfsanalyse berücksichtigt dabei nicht nur die fachliche Qualifikation, sondern auch Führungs- und Sozialkompetenzen.

Klar soweit?

Klaus Tovar kritisiert, dass die strategische Ebene der PE nicht beachtet wird. Beispiel: Trotz der groß angelegten Kampagne mit dem Namen IPQ und vielfältiger Anstrengungen bleiben die Erfolge, die Veränderungen in den Mentalitäten und Verhaltensweisen bei Funktionären und MitarbeiterInnen aus. Die eine Ursache könnte darin bestehen, dass die PE eben nur als Modebegriff benutzt wurde, um einzelne Bausteine aus einem Katalog anzubieten. Wenn PE aber eben als Modebegriff und nicht als wissenschaftliches Instrumentarium genutzt wird, bestehende Strukturen nachhaltig in Frage zu stellen, verpuffen die Effekte doppelt: Die Subjekte der PE-Maßnahmen – also die TeilnehmerInnen – fühlen sich veräppelt oder freuen sich, dass sich nichts ändert. Die Gruppe der Verantwortlichen, die die neuen Konzepte sowieso für unnütz gehalten haben, fassen anschließend zusammen: Wussten wir ja vorher, dass das nichts bringt.

Heiko Wessel u.a. sind bemührt um Alternativen, bleiben aber in den Strukturen stecken. In den gedanklichen Strukturen, dass mit Qualifizierung und Bildungsarbeit, die endlich die Veränderungen der gesellschaftlichen Realitäten berücksichtigt, auch die Veränderungen bei den Akteuren der Organisation eingeleitet wird.

Ein klassischer Fehler: Statt die nicht brauchbaren Instrumente und Tools wegzuwerfen, halten wir in komplexen Situationen an ihnen fest. „Drop your tools“ – die Aufforderung an Feuerwehrmänner auf der Flucht vor dem Feuer, sich durch Wegwerfen der Werkzeuge leichter und damit schneller zu machen, ist die zentrale Metapher, die sich durch neue PE-Konzepte ziehen müsste.

Also: Eine nachhaltige PE braucht eine umfassende und schonungslose Analyse des Bestehenden.

Zugespitzt formuliert gibt es m.E. im Personalwesen der Partei vier wesentliche Fehlerquellen, die noch immer nicht angegangen werden:

Es gilt nach wie vor das Peter – Prinzip. In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen. Weil Menschen sich als fähig erwiesen, werden sie befördert und nahmen dann irgendwann eine Stellung ein, für die sie unfähig und ungeeignet sind. Dies gilt für viele Funktionäre ebenso wie für viele Mandatsträger.

Es gibt nach wie vor das Prinzip der Lebenslänglichkeit: Wer einmal eine bestimmte Position erreicht hat, kann diese auch behalten. Egal, ob er sich individuellen Weiterentwicklungen entzieht oder nicht.

Es gilt überall das Larmoyanz-Prinzip: Je lauter über die zusätzlichen Belastungen und den vollen Terminkalender gejammert wird, je mehr die unfähigen anderen im Wege zu stehen scheinen, desto höher wird die politische Bedeutung für sich selbst angenommen und meistens auch von außen angesehen.

Es gilt das Tust-du-mir-nichts-tu-ich-Dir-nichts-Prinzip: Kritik, die eigentlich geübt werden müsste, weil alle die Mängel sehen, wird nicht geübt, weil die Sorge besteht, dass die eigene berufliche oder ehrenamtliche Praxis dann auch mal kritisiert werden könnte.

Neben diesen Fehlerquellen gibt es noch vier Ursachen für Fehlentwicklungen, die in neuen PE-Ansätzen berücksichtigt werden müssen.

  1. Wissen: Sind die Funktionäre und MitarbeiterInnen und Mitglieder informiert? Haben sie es verstanden?
  2. Wollen: Sind die Funktionäre und MitarbeiterInnen und Mitglieder motiviert? Was demotiviert sie?
  3. Können: Sind sie ausgebildet? Haben sie genug trainiert?
  4. Dürfen: Sind sie aus ihrer Sicht berechtigt? Trauen sie sich kreativ / kollektiv zu handeln?

Diese vier Ebenen sollten sich durch die PE-Debatten ziehen und dabei auch berücksichtigen, dass es ganz unterschiedliche Zielgruppen in der PE-Arbeit geben muss. Entscheidend ist m.E. dabei die Entwicklung von Führungskräften innerhalb der Partei auf hauptamtlicher und ehrenamtlicher Basis. Führungskräfte in großen Industriebetrieben müssen sich qualifizieren lassen, bevor sie MitarbeiterInnen führen dürfen. Heiko Wessel u.a. machen hier den zentralen Fehler: Die Führungsfähigkeit zu erlernen muss in der modernen Partei die zentrale Aufgabe werden. Denn die Strukturen, in den auf Menschen zugegangen werden soll, die Bedingungen, unter denen mit Menschen kommuniziert werden muss – diese werden sich noch mehr ändern, als wir uns vorstellen können. Es geht eben nicht mal eben um persönliche Arbeitstechniken oder Fragen der Selbstmotivation, sondern darum, zur Führungskraft in einer modernen Mitgliederpartei ausgebildet zu werden

Nur so kann eine Neuaufstellung von Ortsvereinarbeit erfolgen. Die Überfrachtung der Ortsvereine mit neuen Aufgaben, die zur Zeit in den Papieren der NRWSPD vorgenommen wird, zeigt nur, dass die erfolglosen Bemühungen sich wieder mal im Kreis drehen werden.

 

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