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Für den ökologischen Abbau des Kapitalismus.


Rezension: Altvater, Elmar: Die Zukunft des Marktes: Ein Essay über die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des "real existierenden Sozialismus" | Broschiert : 386 Seiten | ISBN-13 : 978-3924550486 | ISBN-10 : 3924550484 | Sprache: : Deutsch.


 

 

Das Scheitern des „real existierenden Sozialismus" ist für Altvater keine Frage der zukünftigen Entwicklung, sondern eine Tatsache. Der Versuch, das kapitalistische Vorbild einzuholen und zu überholen, machte aus der sozialistischen Revolution, die „ 1917 ihren Siegeszug begann, bis in ihre alten Tage - ein dreivierteljahrhundert später - eine halbe Revolution: die gesellschaftliche Regulierung, das politische System, die ökonomische Planung wurden grundlegend umgestaltet, doch die „Technostruktur", die Arbeitsorganisation, die Produktionsmethoden, die Konsumstandards und mit ihnen das Bewußtsein der Menschen - waren vom entwickelteren Vorbild im Westen abgekupfert, ganz nach dem Motto: die entwickelteren Produktivkräfte können auch in den sozialistischen Aufbau integriert werden." Allerdings – Altvater wiederholt bei der Analyse des gescheiterten Sozialismus nicht altbekannte Verklärungsmuster, sondern stellt fest: '.'Die angedeuteten Krisenerscheinungen im kapitalistischen Westen sind durch die Auflösung der real-sozialistischen Gesellschaften in den Hintergrund getreten; was bedeuten schon Dauerarbeitslosigkeit, Schuldenkrise der Dritten Welt, Börsenkrach und Verfallhegemonialer Macht gegenüber dem Kollaps einer Gesellschaftsordnung? "Denn es sieht ja nicht so aus, als würden die kapitalistischen Gesellschaften vor einer organischen Krise (Gramsci) stehen: "Dies wirft aber sofort die Frage auf, warum in einer großen gesellschaftlichen Krise die eine Gesellschaftsformation zusammenbricht, während die andere transformiert wird." Diese Fragestellung durchzieht den ersten Teil des Buches: Die unterschiedlichen Gesellschaftsformationen Kapitalismus und Sozialismus werden mit ihren kleinen und großen Krisen und deren Ursachen historisch und aktuell beleuchtet. ,,Unter dem Primat der Ökonomie (im Kapitalismus, d.A.) müssen Krisen schon politisch werden, um den Charakter der großen Krise anzunehmen, während im System des realen Sozialismus unter dem Primat der Politik, institutionell sichtbar in der Partei- und Staatsbürokratie ökonomische Krisen unmittel politisch sind (…).Die destruktive Kraft von Krisen ist also für die Entwicklung von kapitalistischen Gesellschaften eine Produktivkraft; sie ist eine materiale Basis für die heilsame Ingangsetzung der schonangedeuteten transformistischen Prozesse. In dem trägen Fluß krisenfreier Entwicklung in real-sozialistischen, aber dennoch widersprüchlichen Gesellschaften sinken so viel destruktive Potenzen als Sedimente ob, daß der Fluß zum Stehen kommt." Die politischen Instanzensind für Fehlentwicklungen und Fortschrittsblockaden verantwor~ich und haben kein Interesse daran, daß sie dafür verantwortlich gemacht werden -geschweige denn, überhaupt Fehlerzuzugeben: ,,Die gesellschaftliche Stagnation wird zur sozialen Explosivkraft und treibt die Destrukturierung weit über die innersystemischen Transformationen im Verlauf der „großen Krise" hinaus. Nicht Mutation, nicht Transition und Transformation finden statt, sondern eine Revolution. Was danach kommt ist ungewiß. Revolutionen aber sind nicht per se progressiv; in der Geschichte gibt es regressive Involution. Die Versprechungen der russischen Revolution werden zurückgenommen und dem Projekt der Moderne in seiner hochentwickelten kapitalistischen Form wird Tribut gezollt." Der Markt ist noch einer solchen „Revolution" ober gerade nicht die zeitlose Antwort auf die Herausforderungen der Zeit: ,,Die Möglichkeiten, mit marktwirtschaftlich gesteuerten Prozessen Wohlstand, Industrialisierung und Modernisierung zu erreichen, sind nur im zeit- und raumlosen Modell gegeben, nicht aber in der Chaotik der wirklichen Welt." Die Konsequenzen einer solchen Marktgläubigkeit sind bekannt: ,,Die „förmliche" Ökonomie des Marktes kann saniert werden, aber um den gesellschaftlichen Preis der Verlagerung der Überlebensstrategien der Menschen in den „informellen Sektor", durch die Schaffung der „Zwei-Drittel-Gesellschaft". Aber es geht Altvater dabei nicht nur um die Fehlentwicklungen in den Metropolen des Kapitalismus: Brasilien z.B., das hinter Japan und der BRD auf der Liste der exportierenden Länder steht, befindet sich in einem Teufelskreis: ,,Das Wachstum der Wirtschaft wird beschnitten, wenn seit Jahren an die fünf Prozent des Sozialprodukts für Zinszahlungen an internationale Banken aufgewendet werden müssen und folglich für Investitionen zur Ankurbelung des Wachstums zu wenig übrigbleibt. Die lnflation läßt sich nicht eindämmen, wenn die Importe reduziert und die Exporte ausgedehnt werden müssen, um mit dem Handelsbilanzüberschuß den Schuldendienst finanzieren zu können. Mit anderen Worten: es ist heute vor allem die Art und Weise der monetären Steuerung der internationalen Arbeitsteilung, mit der der globale Gegensatz zwischen reichen und armen Ländern in Spannung gehalten wird. Wir müssen uns also dem Geld des Weltmarktes zuwenden.

 

Über Geld und Revolutionen ·oder: Die Herrschaft des Zinssatzes

 

Im Abschnitt „Das Geld des Marktes" tut Altvater dies dann auch ausführlich. „Das Geld ist der Feind der Ware und umgekehrt. Denn Geld entfernt sie aus der Zirkulation und nimmt die geräumte Stellung ein und die Ware ottrohiert das Geld, um es aus der Zirkulation zuziehen. Der wechselseitige Reiz existiert freilich nur so lange, wie sich beide knapp halten: Worum sollte Geld für Dinge im Überfluß gezahlt werden, die auch ohne Geld zu hoben sind - die Luft zum Atmen beispielsweise? Und warum sollten Waren gegen überschüssiges Geld hergegeben werden, mit dem nichts zu holen ist? Im Fall der Ware hat deren Besitzer wenigstens einen konkreten Gebrauchswert, im Fall des Geldes nur einen monetären Anspruch, dessen Einlösbarkeit unsicher ist: ,,Diese Unsicherheit ist entscheidend - denn Geld kann die Ökonomien auf Trab bringen oder zerstören: ( ... J das Geld als Zahlungsmitte ist das Problem, weil es Schuldverhältnisse voraussetzt (und konstituier~,Gegenwart und Zukunft verknüpft, also ein Moment von Unsicherheit enthält, und zur Produktion rückgekoppelt ist, die nicht nur den Bedingungen der Finanzsphäre von Zahlung und Nichtzahlung gehorcht, sondern technischen und sozialen Verhältnissen, in denen erstens der Klassenkonflikt zwischen Lohnarbeit und Kapitol enthalten ist und zweitens die Umformung von Stoffen und Energien unbedingt das monetäre Resultat der Erwirtschaftung von Tilgungen und Zinsen haben muss." Der Überblick über die Geschichte des Geldes und des Kreditwesens verdeutlicht mit vielen Beispielen die „destruktive Kraft", die „menschliche Tragödien erzeugt und soziale Verhältnisse umwirft, und mit denen 'die Schneisen geschlagen' werden, ,,in denen sich die kapitalistische Produktionsweise vorwärts bewegt. "Schulden- und Kreditkrisen sind wesentlicher Bestandteil des industriellen Zyklus, die periodische Wiederkehr ist seit über 150 Jahren zu beobachten. Die Macht des Geldes ist der Kredit, mit dem die Modernisierung der Gesellschaft und der Produktionsverhältnisse angetrieben werden soll · was aber meist mißlingt. Die Darstellung der Geschichte von Schuldenkrisen dient dabei nicht der Anhäufung von Wissen an und für sich, sondern liefert exaktes Material und Argumente gegen die Politik der Weltbank, die immer noch von der Hypothese des Schuldenzyklus ausgeht: ,,Ein Land durchläuh nach der idealtypischenLesart fünf Stadien der Entwicklung, nämlich vom jungen Schuldnerland (1 J über das reife Schuldnerland (2) zum Schulden tilgenden Land (31 und zum jungen Gläubigerland (4). Schließlich erreicht es das Klassenziel als reifes Gläubigerland (5J. Dieser Schuldenzyklus hat aber mit dem schleichenden Bankrott vieler Länder nichts zu tun, da die fallenden Rohstoffpreise und die steigenden Zinsen seit Beginn der achtziger Jahre alle Gewinne wieder in den Schuldendienst fließen lassen. Politische Lösungen sind gefragt, die zur Voraussetzung die Streichung der Schulden haben muß, damit eine andere Entwicklung in den betreffenden Ländern überhaupt möglich werden kann.

 

Ökologische Kritik der politischen Ökonomie

 

Die Wirkung der Schulden ist noch eine andere: ,,Schulden können von Generation zu Generation vererbt werden, man kann die Zahlung seitens der Schuldner einstellen oder sie generös seitens der Gläubiger streichen. Doch von den heute verbrauchten nicht erneuerbaren Ressourcen bleiben zukünftigen Generationen nur Abfall, Abwasser, Abluft; der Mensch ist ein Müll produzierendes Wesen. ( ... ) Die in Vergangenheit und Gegenwart degradierte oder zerstörte Natur verhindert ökonomische Entwicklung in der Zukunft. Die durch den marktgeforderte Effizienz ist zustande gekommen, weil aus dem Reservoir der natürlichen Ressourcen so geschöpft worden ist, als ob sie grenzenlos zur Verfügung stünden und die Menschen nicht mit der inneren wie der äußeren Natur haushalten müssten. Zwischen dem ökonomischen System und der Natur kann sich ein positiver, also sich ein wechselseitig steigernder Rückkopplungsmechanismus ausbilden: Die ökonomischen Zinssignale erzwingen die Erwirtschaftung eines Überschusses, dieser kommt durch Übernutzung von natürlichen Ressourcen zustande. Die degradierte Naturbasis des Produzierens und Konsumierens erschwert die Erwirtschaftung einer den Zinsen angemessenen Rendite. Die Schuldenkrise hat negative ökologische Wirkungen und degradierte Natur verschärft die Schuldenkrise." Für den Ausgleich dieser Naturschäden überall auf der Welt hält Altvater eine monetäre Herangehensweise für ungenügend. „Selbst wenn die Veränderungen der natürlichen Umwelt in Preisen bewertet und in Geld kompensiert werden, bleiben sie zunächst als Sachverhalt beste-~ ,.Ein zentraler Punkt der Marxschen Theorie ist die Erkenntnis, daß ökonomische Prozesse immer einen Doppelcharakter aufweisen: Als Transformation von Werten (Verwertung/Wertbildung) und als Transformation von Stoffen und Energien hen, mit dem olle ökonomischen Akteure umzugehen haben: Auch finanziell kompensierte Wasserverschmutzung macht das Wasser nicht sauber, und auch eine CO,-Abgobe für sich genommen hält den Treibhauseffekt nicht auf solange nicht technische Veränderungen des Produktionsprozesses forciert und die individuellen und kollektiven Konsumgewohnheiten nicht gemäß energiesparender Normen umgestellt werden. Anhand des tropischen Regenwaldes macht Altvater ausführlich dor':I.UF aufmerksam, wie die politische Ökonomie des Kapitalismus in ihrer Bemächtigung der äußeren Natur Schäden hervorruft, die die Entwicklungsmöglichkeiten der Menschen weltweit einschränkt. Altvater macht klar, daß von vornherein sparsam mit Energie und Naturstoffen umgegangen werden muß - auch bei der Reparatur von schon geschädigten Regionen, da sonst an anderer Stelle wieder der Naturverbrauch höher ist als der Nutzen. Dabei kommt Marx gut weg – Altvater bezeichnet dessen Theorie als einzigartig, denn „sie erlaubt den theoretisch konzeptionellen Brückenschlag vom System der Werte zu den Gesetzmäßigkeiten der Natur, ohne die Natur-wie in der Neoklassik-zu ökonomisieren oder die Ökonomie ganzheitlich anthroposophisch zu naturalisieren". Denn ein zentraler Punkt der Marxschen Theorie ist die Erkenntnis, daß ökonomische Prozesse immer einen Doppelcharakteraufweisen: Als Transformation von Werten (Verwertung/Wertbildung)und als Transformation von Stoffen und Energien (Arbeitsprozeß/"Stoffwechsel" zwischen Mensch und Natur). Diesen Zusammenhang heute mit den Kenntnissen über die Natur auch in einem Zusammenhang zu sehen, ist für Altvater eine vordringliche Aufgabe. ,,Ökonomische Theorie kommt um eine Theorie des Gebrauchswerts nicht mehr herum; in ihr kommt dem Entropiebegriff ein zentraler Stellenwert zu." Abluft, Abwasser, Abfall und Energieverbrauch bei der Produktion von Gebrauchswerten müssen vermieden werden. Die Qualitätsverschlechterung (Entropie von Energie [und Stoffen) als Folge ihrer Nutzung ist sozial gestaltbar - aber nur unter der Voraussetzung, daß das vorherrschende verdinglichte Naturbewußtsein überwunden wird. Bei der Umsetzung und Gestaltung einer Produktionsweise, die die Überlastung des Ökosystems der Erde verhindern könnte, brauchen die Menschen deshalb Beteiligungsrechte als Produzenten und Konsumenten· Dem Markt kommt eine widersprüchlich·~, Rolle zu. Zum einen ersetzen Planung und Produzentendemokratie (Selbstverwaltung)die Funktion des Marktes als Findungs- und Abstimmungsmechanismus von ökonomischen Entscheidungen. Auf der anderen Seite allerdings ist der Markt innerhalb eines komplexen demokratisierten Systems der Regulation ökonomischer und gesellschanlicher Verhältnisse unverzichtbar; denn nicht alle ökonomischen Prozesse sind planbar und in einer arbeitsteiligen Gesellschah sind die Menschen nicht nur Produzenten, sondern sie bleiben Konsumenten, die hoffnungslos überfordert wären, jede alltägliche Konsumentscheidung als politischen Wahlaktartikulieren zu müssen. [ ... ) Der Fehler des liberalen Diskurses besteht ja nichtdarin, die Leistungen des Marktes beider Bildung von stimmigen (relativen Preisen zu unterstreichen, sondern darin, dieses Prinzip zu einem Für alle gesellschaftlichen Bereiche strukturierendem Rationalprinzip zu deklarieren undandere nicht marktmäßige Formen der Re guI a ti on o"k o nomischer Prozesse zu beargwöhnen und in der marktradikalen Variante! ... ) gor auszuschließen."

 

Fazit: Auch wenn es wohl eher seiner Bescheidenheit zuzurechnen ist. Das Wort „Essay" im Titel von Altvaters neuestem Buch ist ein vollkommener Fehlgriff: Denn ein Essay ist eigentlich eine „knappe, anspruchsvolle Abhandlung". Knopp ist die „Zukunft des Marktes" aber nichtabzuhandeln. Dafür ist dieses Essay aber sehr anspruchsvoll. Elmar Altvater ist eine detailreiche, erfrischende und kompetente Kritik am Kapitalismus gelungen, die es nicht nötig hat, ständig auf der Feststellung herumzureiten, daß Markt und Plan kein Gegensatzsind. Zwar erzeugen manche seiner theoretischen Abhandlungen auch mal Schweißperlen auf den Augen und Schwielen im Gehirn - aber konkrete Beispiele belohnen die Mühe immer. Und wenn der Überblick mal verlorengeht: Jeder neue Abschnitt des Buches bringt eine Zusammenfassung des vorher dargelegten Inhalts; so wird die Einordnung einfacher und der Stellenwert der einzelnen Abschnitte un~ri:anderdeutlich. .\:fi!l{:Diese Rezension ist denn auch :rttehreine Leseprobe - mit hoffentlich den Stellen, die Lust auf mehr machen. Interessierte werden Altvater allerdings verzeihen müssen, daß der eigenwillige Sprachgebrauch von Worten wie „eskamotieren", ,,desaströs" oder„eklatieren" zuweilen die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Buch unnötig erschwert. Aber: ,,Die Zukunh des Marktes" mit seinem ausführlichen Literaturteil sollte ohnehin nicht individuell konsumiert werden, sondern besser in Lesekreisen oder Seminaren Gegenstand von Diskussionen und Gesprächen sein - die vorliegende Anhäufung von Wissen in diesem Buch gibt der Linken ein Stück der Kompetenz, die sie brauchen wird, um die Zukunft zu gestalten. Also: Lest los!

 

 

 


Veröffentlicht in Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft spw | Ausgabe 5/1991 | Heft 61 | September/Oktober 1991.


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