Oder: Über Tendenzen in der neueren Kriminalliteratur
Um Krimis soll es hier gehen. Um Krimis, in denen Menschen "bisweilen das Bedürfnis nach zerstreuender Anspannung (...)" finden. Die Linke darf sich ja nun mittlerweile ein bißchen ablenken beim Klassenkampf. Aber: Zur Gewohnheit darf nichts von diesem werden. Denn Krimis könnten "sehr leicht die tieferen Bedürfnisse nach Erkenntnis und Erfahrung verdrängen"[1]. Solche Warnungen - hier von der sozialistischen Pädagogin Anna Siemsen aus dem Jahr 1941 - vor Krimis gibt es bis heute: Krimis sind trivial, platt, blöde, haben das Niveau von Jerry-Cotton-Heftchen und wären gerade noch als Kindheitslektüre erlaubt - Agatha Christie, Sherlock Holmes und so. Die folgende Sammelrezension versucht, gegen diese Meinung nachdenkenswerte Argumente zu bringen, ohne den Krimi aus der Kritik zu entlassen. Aber: Die "Konzentrationstendenzen und Verflechtungen im bundesdeutschen Mediengeschäft und deren affirmative Steuerungsfunktion im ideologischen Absicherungskampf der neokonservativen Kapitalisten unter besonderer Berücksichtigung von Hochfinanz und boomender Kriminalliteratur"[2] - eine umfassende Kritik des Geschäftes mit den Krimis also, wäre ganz schön - über das Geschäft gibt es hier im folgenden zumindest ansatzweise analytische Informationen zur Entwicklung auf dem Krimi-Markt im eigentlichen Sinne.
Auch ohne genaue Markt- und Wirkungsanalyse läßt sich festhalten: Krimis - und andere, sog. triviale Literatur - kann den Kopf verkleistern und die Erkenntnis verhindern, daß eine wissenschaftliche Erklärung für die Rätsel der Warenproduktion und der bürgerlichen Gesellschaft möglich sind. Denn die ideologische Funktion der Krimis basiert darauf, daß der oder die einzelne Gute gegen das Böse antreten, gegen eine Personifizierung des Bösen oder irgendeinen Apparat oder eine Mischung aus beiden. Diese Konfrontation, die auf der individuellen Auseinandersetzung beruht, stimmt mit der bürgerlichen Ordnung überein und wirkt daher stabilisierend. [3]
Der Krimi beschreibt aber auch eine bürgerliche Ordnung,die Ordnung hält durch "die verborgene Hand der Marktgesetze, durch die eisernen Gesetze der Fabrikdisziplin und durch die Tyrannei der Kleinfamilie, der autoritären Schule und einer repressiven Sexualerziehung".[4] Die Gesetze dieser Gesellschaft werden nicht aus Überzeugung eingehalten, sondern aus Furcht vor Strafe. Begriffe wie Recht und Ordnung haben nicht erst seit dem großen Lauschangriff einen schalen Beigeschmack, sind relativ, mehrdeutig und zweifelhaft. Krimis tragen so deshalb auch zu den Zweifeln von Millionen von Menschen an den Grundsätzen der bürgerlichen Ordnung bei - sie sind ideologische Kunst mit "(offenen oder verborgenen) emanzipatorischen Linien und Tendenzen. Als ideologische Praxis steht Kunst stets in der Doppelfunktion eines stabilisierenden, apologetisch-affirmativen [ ] Gebrauchs und der Möglichkeit kritisch-emanzipativer Verwendung."[5]
Zwischen milder Verachtung und Heldenrolle
In einer Gesellschaft, deren soziale Ordnung massenhaft Betrug, Diebstahl, Mord und Vergewaltigung nicht verhindern kann, sind diejenigen, die für Recht und Ordnung streiten, nicht selbstbewußte Helden, sondern eher tragische Gestalten zwischen milder Verachtung und Heldenrolle.
Die Aufklärung eines Verbrechens ist schon lange nicht mehr der strahlende Sieg des Guten über das Böse. Die Polizisten, die Privatdetektive, die Staatsanwälte - sie arbeiten für eine Institution, an die sie immer weniger glauben, die sie sogar zu verachten beginnen, je mehr sie in das institutionelle Gefüge einbezogen werden: Vom ursprünglichen Sinn und Zweck der Institution bleibt letztendlich nur der formale Anspruch auf Gehorsam, unter dem die einzelnen leiden.
Ein gutes Beispiel für diesen in Realität und Literatur verbreiteten Zwiespalt ist INSPECTOR JURY von MARTHA GRIMES. Über den Wunderlich-Verlag, eine Tochtergesellschaft des mächtigen Holtzbrink-Konzerns, auf den Markt gebracht, erscheinen sie nun mittlerweile in der preiswerteren Tochtergesellschaft Rowohlt-Taschenbuch Verlag. Viel Lob wird in entsprechenden Rezensionen verbreitet und lesenswert sind sie allemal, die Geschichten um den zweifelnden und verzweifelnden Polizisten.
Doch zwischen INSPECTOR JURY und INSPECTOR JURY LICHTET DEN NEBEL hat sich der Reiz der Geschichten erschöpft. Der Inspector ist literarisch gesehen nicht mehr entwicklungsfähig. Dazu beigetragen hat sicherlich auch das traditionelle Umfeld: Das Adelsmilieu, die Landsitze und Grafschaften, wo die Verbrechen stattfinden, die Rolle der Watsons, (hier gespielt durch eine ehemaligen Lord). Modern ist dabei vor allem aber das Unverständnis und die Verachtung, die dem Polizisten in seiner eigenen Dienststelle gegenüberstehen: Totale Isolation in der Polizeihierarchie und die biographisch verschuldete Unfähigkeit, Vertrauen zu Menschen zu entwickeln, die ohne Eigennutz den Kontakt zu ihm suchen, verschleißt den Helden zusehends. Trotzdem: Der Krimi von MARTHA GRIMES ist damit ein Krimi par execellence im Sinne von Bertolt Brecht: "Wir bekommen im Kriminalroman jeweils ausgezirkelte Lebensabschnitte vorgesetzt, isolierte, abgesteckte kleine Komplexe von Geschehnissen, in den die Kausalität befridigend funktioniert. Das ergibt genußvolles Denken. (:::) Die Kausalität menschlicher Handlungen zu fixieren ist die hauptsächlichste intellektuelle Vergnügung, die uns der Kriminalroman bietet."[6] Die Mischung aus Isolation, Entfremdung und profunder Menschenkenntnis, komponiert in der Person des Inspectors wird ergänzt durch eine besondere "dichte" Schreibweise. Nicht ein einziges Mal ließ die Spannung ab bis zur Auflösung, nicht ein einziges Mal bestand die Chance, den überraschenden aber meist perspektivlosen Lösungen zu entrinnen. Die JURY-Krimis sind symptomatisch für die Selbstzweifel am Sinn eines Polizisten-Lebens. Die Botschaft des Namens, die Gerechtigkeit wird im humanen Sinne ein unerreichbares Ziel.
Der klassische Polizeiroman als historischer Roman
Ganz anders sind die Krimis von ANNE PERRY. In "Der Würger von der Cater Street" ist die nichtstandesgemäße Heirat von Charlotte Ellison, Tochter aus adligem Hause, und Thomas Pitt, Inspector von Scotland Yard ein kleinerer Skandal als zeitungslesende Frauen. Die im DuMont`s Kriminal-Bibliothek des Verlegers des Kölner Stadtanzeigers duMont erschienen Krimis laufen seitdem nach dem Muster: Selbstbewußte Frau und sozialkritischer Polizist plus einige andere engagierte Bürgerinnen greifen aktuelle Themen auf - Themen die nur scheinbar etwas mit der viktorianschen Zeit zu tun haben, in der sie spielen.
Das Publikum wird konfrontiert mit einer Zeit, wo die Polizei den besitzenden Klassen noch ein fürchterliches Greuel war. Die Verachtung für die und die Angst vor der Polizei hatte zu Beginn des letzten Jahrhunderts einen praktischen Grund: Weitmehr Schuldner als Mörder steckten in den Gefängnissen. Erst Kriege, Krisen, drohende Revolutionen und die ständig steigende Alltagskriminalität machten klar, daß die Polizei nötig ist, den Schutz des Privateigentums zu sichern. Die Verachtung für den Berufsstand Polizei blieb aber. In der herrschenden Ideologie in England und den USA um die Jahrhundertwende sollte die Polizei dafür Sorge tragen, die Verbrecher dort zu suchen, wo sie herkommen mußten: Aus den Slums und den Arbeiterquartieren. Denn Armut mußte einfach einhergehen mit Verbrechen, und mit menschen, die sich mit sowas abplagen mußten, wollte der Bourgeois nichts zu schaffen haben..[7]
In diese Zeit führt uns Anne Perry. Seitdem ermittelt Charlotte Ellison bei den Fällen als Privatdetektivin mit Unterstützung ihrer Schwester und einer modernen Tante im Privatleben der oberen Klassen, wo Inspector Pitt keinen Zugang finden kann. Die Spannung entsteht durch die Spiegelung eines erstarrten britischen Imperialismus mit seinen innergesellschaftlichen Klassenfronten. Die Bourgeoisie hat gleichviel Angst vor dem Bankrott wie vor dem Proletariat. Nicht die Angst vor Einbruch, Diebstahl oder Mord, sondern die Angst der Familien vor der Entdeckung bestehender moralischer Unzulänglichkeiten beherrscht den Alltag. Diese Angst hält eine Klasse zusammen, die den Führungsanspruch längst verloren hat und verstärkt sich zur Einsicht, daß Verbrechen nur das Produkt der seelischen Verkrüppelungen Grausamkeiten einer Gesellschaftsordnung sind.
Wie stark sich die Verlage mittlerweile um Marktanteile schlagen, wird an Anne Perry deutlich. Der zur Bertelsmann AG gehörende Goldmann-Verlag bringt parallel zu den editorisch sehr gut bearbeiteten Krimis aus dem DuMont-Programm weitere Romane mit dem ermittelnden Ehepaar heraus - und dazu noch eine Reihe weiterer Geschichten um ein Detektivbüro. In diesen Geschichten arbeiten eine Frau, ein Ex-Polizist und ein Rechtsanwalt an Fällen, die eine ähnliche Rekonstruktion und (De-)Montage der bürgerlichen Gesellschaft ergeben, wie in den Pitt-Stories. Allerdings: Die Qualität der Übersetzungen läßt manchmal merklich zu wünschen übrig.
Auch in DuMont`s Kriminal-Bibliothek findet sich Dangerous Davies, DER LETZTE DETEKTIV, so genannt, weil er sich immer dann in lebensgefährliche Situationen begibt, wo andere Polizisten einfach weggeschaut hätten. Die Hauptfigur von Leslie Thomas lebt in London, wo sich die Auswirkungen von einem Jahrzehnt Thatcherismus an jeder Straßenecke zeigen. Die Polizei ist immer noch überflüssig, die Gefängnisse sind übervoll. Alle wissen: Gerechtigkeit gibt es nicht. Polizist sein ist für Dangerous Davies eher die Vision, im Leben der einzelnen Menschen nach Gründen zu suchen, die den gewaltsamen Tod erklären. Menschen und ihre Geschichte, Menschen in der Geschichte könnte der Untertitel lauten für diese exzellent und humorvoll geschriebene Lektüre, die in "... BIS ÜBER BEIDE OHREN" (na, was wohl?) eine wundervolle Ergänzung findet.
Eine Ausnahme unter den Polizeiromanen sind die Berliner Scene-Krimis von PIEKE BIERMANN. Im jetzt von der Europäischen Verlagsanstalt (EVA) übernommenen Rotbuch-Verlag[8] wird mit POTSDAMER ABLEBEN, VIOLETTA und HERZRASEN ein literarisch nur schwer verdaulicher, an Arno Schmidt erinnernder Schreibstil offeriert. Ein Polizeiroman, in der die ermittelnden Beamten ohne viel Selbstreflektion ihren Job machen. Die Krimis beschreiben mehr die Lebensbedingungen in Berlin, die alltägliche Gewalt einer Großstadt und mehr oder weniger spannende Krimis. Die Polizei ist nur noch Teil von Scene-Kulturen, die sich über die handelnden Personen miteinander vermischen. Diese literarisch montierte Krimi-Welt ist ziemlich heil: Denn die Morde werden aufgeklärt und erklärt und die Polizei ist gesellschaftskritisch und nicht bestechlich - so richtig multikulturell sozialliberal.
Das Team der frustrierten Einzelgänger
Wie schon oben erwähnt: Krimis führen tendenziell dazu, ein Held, ein Mann zumeist, alleine könnte das Böse irgendwie bezwingen. In dreierlei Hinsicht gibt es aber einen Abschied vom männlichen Helden.[9] Mußte der Held früher immer nur cool, unbestechlich, trinkfest, illusionslos, meist asexuell sein, sind die Helden heute eher ein Team, um diese Eigenschaften alle unterzubringen. Insbesondere für den zeitgenössischen Krimi aus dem Milieu des Privatdetektivs trifft das zu. Die moralischen Anschauungen dieser Privatdetektive sind davon geprägt, daß sie versuchen, die (Eigentums-) Interessen der Klienten zu vertreten. Die Grenzen sind erreicht bei Mord, bestechlihcen Bullen, Vergewaltigung und Drogenhandel. Die Privat-Eyes als Team bestehen in der Regel aus drei Personen: Mann, Frau und noch eine weitere Figur als "Watson", dem klassischen Partner von Sherlock Holmes. Realistische Schilderung der Alltagsarbeit ist das oberste Prinzip - und direkt aus der Wirklichkeit übernommen: "Auf Geduld, Unauffälligkeit und Kombinationsgabe kommt es in unserem Beruf an. Wer mit Trenchcoat, Hut und dunkler Sonnenbrille herumläuft und Verfolgungsjagden inszeniert, ist eine Lachnummer." Das Team in der Literatur ist schon deshalb notwendig, um all die geforderten Eigenschaften unterzubringen: "Eine solide Vorbildung, als Kaufmann, als Rechtshelfer oder Polizist, Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen, schauspielerisches Talent, geistige Flexibilität, die soziale Bereitschaft, mit und für Menschen zu arbeiten, und vor allem die gute Spürnase, gehören unbedingt dazu."[10]
Ein frustrierter, tragischer Held ist DUFFY von DAN KAVANAGH, der in VOR DIE HUNDE GEHEN, ABBLOCKEN und SCHIEBER-CITY aus dem Haffmanns-Verlag, die nach Übernahme des Krimi-Programm durch den Heyne-Verlag auch weiterhin erhältlich sind. Duffy, auch das ist typisch ist Ex-Polizist, lebt in London versucht sich als Verkäufer und Installateur von Alarmanlagen und als Privatdetektiv. Seine Hilfe: Ein von Abhörangst getriebener Technikfreak und eine Polizistin. Die deprimierenden Geschichten von Ungerechtigtkeit, Brutalität, Bestechlichkeit im englischen Alltag sind nur durch die Schilderung von Duffys Macken und durch seine inneren Monologen über die kleinen und großen Probleme der Welt zu ertragen: Da wären die Uhrentickphobie, die Angst vorm Fliegen ... oder die Frage aller Waschsalonkunden: "Was ist mit der anderen Socke? Wenn man vierundzwanzig reintat, bekam man dreiundzwanzig zurück ..." Dieser Privat-Eye ist nicht Abziehbild der Realität, aber mit solch realistisch-humorvollen Macken ausgezeichnet, daß die Spannung der KAVANAGH-Krimis fast schon Nebensache wird.
Ein weiteres skurriles Team bringt die Verbrecher zur Strecke. Mit CONNY LENS und seinen STEELER-STRASSE-Krimis "Die Sonnenbrillenfrau", "Ottos Hobby", "Casablanca ist weit" und "Endstation Abendrot" kämpfen Wolli Schröder, Chris Ullmann und Benno Korn ständig gegen den drohenden Konkurs. Denn Wolli Schröder, der Chef, lehnt zwar nie ein Bier, aber fast alle Aufträge ab - aus ethischen, moralischen, politischen oder sonstwie Gründen.nicht leicht, Aufträge zu bekommen. Das als "bißchen Fakten sammeln, bißchen was nachdenken, und schon kackt dat Pferd" zusammengefaßte detektivische Arbeit kämpft auch noch gegen die Humorlosigkeit im Krimi und gewinnt. Die Handlung lebt von lockeren Dialogen. Kein Mord trübt die gute, spannende Unterhaltung bei den Versuchen von Menschen, sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen, um damit ein besseres Leben zu beginnen.
Die Rebellion der Einzelkämpferinnen
In der heutigen gesamtgesellschaftlichen Situation sind individuelle Lösungsansätze aktueller und beliebter als wir es uns wünschen. Vorschlägen, die unmittelbar an Einzelheiten ansetzen, fehlt die Durchschlagskraft, weil sie an der Gesamtrichtung nichts ändern. Entwürfen, die auf eine Änderung der Gesamtrichtung zielen, mit resignativer Zurückhaltung begegnet. Denn wir (sollten) ja wissen: Die indidivudelle Revolte führt in die Sackgasse. Die Einzelkämpfer in Realität und Literatur sind deshalb tragische Helden. Bei einigen AutorInnen gibt es deshalb quasi als Abfederung dieses Widerspruchs das Team.
Hochhackige Schuhe und zuviel Empfindsamkeit ...
... kennzeichnete in vielen Krimis noch immer die Rolle der Frauen. Mittlerweile wird der Markt überschwemmt mit unterschiedlichen Frauenkrimi-Reihen. So z.B. auch vom Wirtschaftsverlag ECON. Durch Verleger Oppenberg über "Rheinisch-Westfälische Verlagsgesellschaft"[11] gesteuert, finden hier AutorInnen aus dem englischen und amerikanischen Börsen- und Banker-Milieu die Chance, ihre Erfahrungen aus der alltäglichen Wirtschaftskriminalität im Kapitalismus nochmals in Form von Buchtantiemen zu verwerten. Marktstrategie: Die Helden in den Krimis sind Heldinnen. DENISE DANKS z.B. fällt mit ihrer Heldin Georgina Powers durch das Anspruchs-Raster der Rollenhinterfragung von Frauen in Krimis des ARIADNE-Verlages: "Ganz ausgeschlossen waren damit für uns alle Texte, in denen diese zarten Geschöpfe und geborenen Opfer den Spannungsrahmen schmücken, schließlich den Helden selbst noch durch eine Ohnmacht zur falschen Zeit, hochhackige Schuhe und zuviel Empfindsamkeit in Lebensgefahr bringen, um endlich doch gerettet und geheiratet zu werden."[12] Genau diese Rolle ist zumindest die von Georgina Powers oder auch der Heldinnen SMITH & WETZON von ANNETTE MEYERS, ebenfalls bei ECON erschienen.
Frauen, die dem oben erwähnten Bild nicht entsprechen, lassen sich auch wie folgt charakterisieren: Zwischen Recht haben und Recht kriegen steht nicht mehr länger das Gesetz, sondern nur die personifizierte Mischung aus engagierter, sozialkritischer Anwältin mit linker Vergangenheit und detektivischem Spürsinn, deren soziologische Kenntnisse in jeder Situation ohne überzogene Action den Mord aufklären und das Verbrechen sühnen kann.
Neil Hamel, die Heldin von Judith van Gieson in "EIN KIND AUS DEM NICHTS, WÖLFE, JAGDINSTINKT und GOODBYE, LONNIE kämpft im Südwesten der USA gegen kleingeistige Polizisten, lasche Staatsanwälte und amerikanische Borniertheit allgemein. Kämpft? Nein - sie teilt uns ihre Sicht auf die Welt New Mexico mit: "In unserer Kultur gibt es eine niederschmetternde Botschaft: kein Mensch ist jung genug, blond genug, reich genug, schlank genug und fit genug, und die einzige Möglichkeit, sich ein bißchen aufzuwerten, ist, andere niederzumachen." Neben solchen Botschaften ist es auch hier der Druck des Marktes, daß diese Autorin unter dem Label "Frauen-Krimi" im Bastei-Lübbe Verlag erscheint. Die reißerische Werbung ("Die Abgründe der weiblichen Psyche - ausgelotet werden sie in Krimis ganz eigener Prägung: Frauen verstrickt in mörderisches Geschehen, suchen ihren eigenen Weg") sollte nicht von der Lektüre abhalten.
Die Botschaft: "Wer sich richtig einsetzt, kann auch in einer ungerechten Gesellschaft Gerechtigkeit durchsetzen" finden wir bei FRANCIS FYFIELD. In DIESES KLEINE TÖDLICHE MESSER, FEUERFÜCHSE und SCHATTEN IM SPIEGEL - alle erschienen bei dtv - kämpft die Staatsanwältin Helen West für die wahre Gerechtigkeit. Unterstützt von aufrechten Polizisten, die sich der Beschränktheit ihrer Möglichkeiten bewußt sind, schafft sie es mit rechtsstaatlichen Mitteln das Verbrechen zu sühnen. Und dabei noch eine Spannung zu erzeugen, die nichts für schwache Nerven ist.
"Sich als Schuldig erweisen bedeutet, daß es vor Gericht bewiesen wurde. Das hat nichts mit Schuld oder Unschuld zu tun. Das ganze ist ein Spiel. Es ist schlimmer als ein Spiel. - Das ganze verdammte System stimmt nicht . Und ich wüßte nicht, wie das jemals geändert werden sollte." So die Zusammenfassung der in KATZENSPRUNG und JAGDTRIEB formulierte Position von SHIRLEY SHEA - auch bekannt als Marion Foster. In beiden Romanen nutzt einmal die Frau eines Strafverteidigers ihr Wissen und einmal eine ermittelnde Polizistin ihr Wissen um die Art und Weise, wann eine polizeiliche Ermittlung abgeschlossen wird. Ihre Frage, ob Recht durchzusetzen ist mit Gewalt oder Recht durchzusetzen ist mit Mut und Stärke und Vertrauen in bestehende Institutionen und Menschen. Das Motto: Hilf dir selbst, sonst hilft Dir keine baut auf der Fragestellung auf: Kann eine patriarchalisch geprägte Justiz, kann ein patriarchalisches Strafrecht die steigende Gewalt gegen Frauen adäquat bestrafen? Sind die Urteile gegen die Täter nicht immer eine Verhöhnung der Opfer?
Die Rowohlt-Thriller-Reihe, hinter der der Holtzbrink-Konzern steht, wird mit seinem konstanten Marktanteil von schwarzen Bändchen nicht nur optisch weiterhin die beherrschende Rolle auf dem Krimi-Markt behalten. Trotzdem: Mittlerweile kommt Langeweile auf - und auch die " Vielfalt von Geschmacksnuancen" täuscht nicht darüber hinweg, daß in dieser Reihe nur noch zählt, daß man/frau "sich vom eleganten Ton einer höchst düsteren Unterhaltung forttragen läßt."[13]
Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel: Von LINDA BARNES sind mittlerweile über den Wunderlich-Verlag zur RoRoRo-Thriller-Tochter vier Krimis mit Carlotta Carlyle erschienen. Carlotta ist eine Privatdetekivin, die ihre Phasen ohne Aufträge als Taxifahrerin überbrückt, sich mit einem Cop in platonischer und einem Mafia-Jüngling in nichtplatonischer Beziehung durch unterschiedliche Verbrechen schlägt. Daneben führt sie ein Privatleben als Basketballerin und als Big Sister, d.h. sie kümmert sich per Vertrag um ein Mädchen, der en Entwicklungschancen eingeschränkt wären, wenn nur der Staat sich um sie kümmern würde: Big Sister heißt diese Organisation - eine positive, von unten ausgehende Alternative zur Angst vor dem Big Brother is Wachting You.
[1]) Siemsen, Anna: Kriminalromane. In: Bildungsarbeit. Mitteilungsblatt der schweizerischen Arbeiterbildungszentrale. 12. Jg. (1941) Heft 5. S. 42.
[2]) An dieser Stelle vielen Dank an den Genossen Klaus Tovar aus Münster für diese treffende Formulierung.
[3]) Mandel, Ernest: Ein schöner Mord. Sozialgeschichte des Kriminalromans. Ffm. 1987. S. 81 ff und S. 134.
[4]) Mandel. S. 80.
[5]) Metscher, Thomas: Thesen zur materialistischen Ästhetik. SPW 69. S. 54.
[6]) Brecht, Bertolt: Über die Popularität des Kriminalromans. In: Werke. Ffm. 19991. S. 575 ff.
[7]) Vgl. Mandel, S. 22 ff. u. S. 53 ff.
[8]) Vgl. Lau, Jörg: Artensterben. Ende eines Kollektivs. In: TAZ vom 30. 10.1993. S.18.
[9]) Für diese treffende Formulierung: Vgl. Grundmann, Martin: Der Abschied vom männlichen Helden. In: ARIADNE-FORUM. Nr. 2. S. 90 ff.
[10]) Vgl. Messerschmidt, Juliana, Detektivin. In: Helga Blomquist: Schnüffeln allein reicht nicht mehr. In: Lernfeld Betrieb. 4/1992. S. 5.
[11]) Vgl. Wirtschaftswoche. Nr. 20 vom 13.5.1994. S. 50.
[12]) Haug, Frigga: Vorwort zu "Wenn die grauen Falter fliegen" von Marion Foster.
[13]) Simon-Zülich, Sybille: Wackeres Kaninchen. Rezension über Ruth Rendell. In: Freitag Nr. 9 vom 26. 2.1993. S. 13.
Veröffentlicht in Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, spw, Heft 78, Ausgabe 4/1994.
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