... oder: Über schlüpfende Marktprozesse und die Veränderung von Institutionen - ein Blick zurück nach vorn.
Rezension zu: Martin Höpner: Wer beherrscht die Unternehmen? Shareholder Value, Managerherrschaft und Mitbestimmung in Deutschland. 232 Seiten. Campus-Verlag.

Was lese ich da: Kritik an Frank Bsirske, Chef von VER.DI, und im Aufsichtsrat bei Lufthansa: „So sieht Ulrich Hocker, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, in den Aufsichtsratsmandaten von Bsirske einen „deutlichen Interessenskonflikt, der nur dadurch zu lösen ist, dass sich Herr Bsirske von seinen Aufsichtsratsmandaten trennt". Denn „als Verdi-Chef gehört die Streikbereitschaft zu seinen Aufgaben", so Hocker. (...) DSW-Chef Hocker hofft jetzt, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex auch auf Bsriske [sic!] angewendet wird. Der regelt, dass „wesentliche und nicht nur vorübergehende Interessenskonflikte in der Person eines Aufsichtsratsmitglieds zur Beendigung des Mandats führen sollen."[1]
Corporate – Governance – Regeln sind Regeln, nach denen Unternehmen beherrscht werden: Ein zentraler Begriff in den Theorien über „Varieties of Capitalism“ – den Spielarten des Kapitalismus. In jedem Produktionsregime koordinieren sich die Unternehmen mehr oder weniger durch Institutionen, nämlich durch das „Corporate Governance-System, das Aus- und Weiterbildungssystem, das System der industriellen Beziehungen und das Wettbewerbsregime, zu dem beispielsweise der Technologietransfer und die Kooperation in der Standardisierung von Produkten zählen. (...) Mit seinem machtverteilenden System der Unternehmenskontrolle, dem dualen Ausbildungssystem, dem formal sektoralisierten, real aber zentralisierten System der Lohnfindung sowie vergleichsweise starken Arbeitgeber- und Industrieverbänden ist Deutschland der paradigmatische Fall einer koordinierten Ökonomie.“(13)
Welche Auswirkungen haben die Veränderungen dieser Regeln auf die Arbeitsbeziehungen in Deutschland? Welche Veränderungen gibt es in Bezug auf die Abhängigkeiten und Verknüpfungen der sog. „Corporate – Governance - Sphäre“ mit den anderen Sphären?
Höpner hat umfangreiches empirisch-analytisches Material untersucht und verarbeitet die Veränderungen und deren Ursachen. Die Einordnung der Produktionsregime hat sich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts verändert. Früher galt: „Sechs OECD-Länder weisen demnach durchweg marktförmige Institutionen auf und werden als liberale Marktökonomien klassifiziert: Die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Australien, Kanada, Neuseeland und Irland. In zehn OECD-Ländern – Deutschland, Österreich, Japan, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland – findet sich eine kohärente Kombination marktbeschränkender, koordinierender Merkmale in den jeweiligen Teilsphären. Nur in sechs Fällen zeigen sich Mischformen aus koordinierenden und liberalen Merkmalen: In Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei.“(18).
Wie ordnet sich Deutschland heute ein? Gibt es eindeutige Veränderungen? Die Ergebnisse von Höpner runden das alltäglich angesammelte Wissen um die Politik in und außerhalb von Konzernen gut ab:
- Die Orientierung auf „Shareholder – Value“ entsteht durch die Intensität des internationalen Wettbewerbs und dem Auftreten institutioneller Anleger als Aktienbesitzer.
- Der Druck der (Aktien-) Investoren erzeugt die Orientierung auf sog. „Kerngeschäfte“: Institutionelle Anleger wollen keine Quersubventionen aus einem gewinnbringenden in einen verlustmachenden Unternehmensteil. Fazit: Weg damit.
- Die Orientierung auf die Aktie und ihre permanente Wertsteigerung wird nicht als Finanzierungsinstrument benötigt. Sondern eine Aktie mit einem hohen Wert schützt vor „feindlichen Übernahmen“ und dient beim Kauf von anderen Unternehmen zum „Tauschen“.
- Manager mögen das Shareholder – Value – System, weil sie einfach mehr Geld verdienen können. Ihre Amtszeit währt nicht mehr bis zur Rente - wie im „alten System“. Der Druck der Anleger auf eine Steigerung des Aktienwertes bringt ihnen hohe Prämien. Der Manager heute ist anders: Früher waren es in der Regel Techniker, die das Unternehmen über ihre Produktkenntnisse führten – jetzt werden es mehr und mehr Wirtschaftswissenschaftler, die aus dem Finanzbereich kommen.
- Die Kontrolle der Manager hat sich verändert. Die Banken orientierten sich vom Kreditgeschäft zum Investmentbanking um und sehen keinen Sinn mehr in der aufwendigen Aufsicht über Industrieunternehmen. Mehr und mehr ehemalige Vorstände werden anschließend die Vorsitzenden der Aufsichtsräte.
- Die Aufsicht über die Manager – Thema Mitbestimmung: Interessant ist, dass Kapitalmarktteilnehmer für die Existenz von Mitbestimmungsgremien offenbar kein Interesse zeigen – mitbestimmungsfeindliche Aktionärsoffensiven sind – so Höpner – nicht zu erwarten: „Eine realistische Interpretation ist, dass man die Macht der Arbeitnehmerbänke in den Aufsichtsräten überschätzen würde, würde man annehmen, sie könnten die Einführung von Shareholder – Value - Strategien verhindern.“(125)
- Shareholder - Value heisst auch Verbesserung der Informationspolitik der Unternehmen - auch die Arbeitnehmerbänke sind zufrieden. Sie verlassen zum Teil die Arbeitnehmerperspektive, da es eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern als Inhaber von Belegschaftsaktien gibt.
Höpner entwickelt drei Begriffe, die die neuen Auseinandersetzungslinien erklären sollen. Klassenkonflikt: Wenn Arbeitnehmer einerseits und Manager und Aktionäre andererseits sich gegenüberstehen. Konflikt um Managerherrschaft: Es verbünden sich Aktionäre und Arbeitnehmer. Insider/Outsider-Konflikt: Arbeitnehmer und Manager gegen die Aktionäre.
Er kommt zu einem interessanten Ergebnis: „Wo sich Unternehmensleitungen und Mitbestimmungsträger in den Mikro-Einheiten zunehmend als Partner verstehen, die zum Wohl des Unternehmens zusammenarbeiten, führt dies zu Konflikten an anderer Stelle: Zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften als Repräsentanten der „Makro-Dimension“ von Arbeitnehmerinteressen.“(152) Feindliche Übernahmen wurden als illegitimes Instrument im Kampf zwischen Konkurrenten bekämpft – bis zum Fall Thyssen und Krupp 1997: „Die Beschäftigten beider Unternehmen definierten ihre Interessen in Abhängigkeit von produktionsbezogenen Interessen ihrer jeweiligen Konzerne, nicht als Klasseninteressen.“(154)
Leider werden die neuen Begriffe in den zutreffenden Schilderungen der Anpassungsentwicklung der Mitbestimmung nicht umfassend angewendet. „Die wachsende Mikro-Orientierung der Mitbestimmung führt allerdings zu Mikro-Makro-Konflikten zwischen Betriebsräten und Gewerkschaften, die sich als Vertreter der Interessen aller Arbeitnehmer auf der Ebene der Gesellschaft als Ganzes verstehen.(164.) (...) Wurde die Mitbestimmung von ihren Trägern früher als Institution zur Transformierung der deutschen Ökonomie in eine „Wirtschaftsdemokratie“ gesehen, wird sie heute, in einer veränderten Umwelt, wesentlich als Instrument zur Verteidigung klassenübergreifender einzelwirtschaftlicher Interessen genutzt.“(168 f.)
Höpner versucht in seinen Schlussformulierungen, ein Manko seiner Arbeit wettzumachen: Denn die gesamte Arbeit bleibt irgendwie in ihrer eigenen Welt: Die letzten 30 Jahre der wirtschaftlichen Entwicklung bleiben in seiner Schlussbewertung außen vor. Reflektiert werden zwar die Theoreme, die Entwicklungen systematisieren wollen, aber der Blick auf die Welt als Ganzes findet nicht statt. Zwar findet die Veränderung im Tarifsystem – nämlich einem ungebrochenen und beschleunigtem Trend zu sog. „Haustarifen“ genauso Erwähnung wie der Trend zu aktienbasierten Vergütungsbestandteilen, durch die der Kapitalmarkt direkt in den Arbeitslohn eindringt. Aber die Frage, wie sich die Arbeitsbeziehungen verändert haben, wird überaus abstrakt abgehandelt: Nicht einmal der Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“ findet sich in der Arbeit. Ebenso nichts zur Neustrukturierung von Unternehmen und Finanzmärkten nach der Krise der 1970er Jahre. Nichts zur bewusst eingesetzten staatlichen Politik von Regierungen und internationalen Finanzinstitutionen. Nichts zu G7-Staaten, zum IWF, zur Weltbank und zur WTO, die ein Politikkonzept von Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung durchsetzten. Ohne eine Einordnung in diese Entwicklung bleiben die Ergebnisse der Arbeit zwar informativ, aber es wird irgendwie nicht rund – auch wenn man die Bemühungen des Autors dazu auf den letzten Seiten merkt. Trotzdem: Ein lesenwertes Buch – es ist zu hoffen, dass Martin Höpners Forschungsarbeit eine Fortsetzung findet.
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[1] Vgl. Wulff, Matthias: Neuer Ballast für die Lufthansa. In: Welt am Sonntag, 19. Januar 2003. Gefunden in junge welt am 20.01.2003.
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