Woran scheitert die Friedensbewegung.
Dieser Beitrag erschien am 01.09.2024 in der Berliner Zeitung.
Heute jährt sich der Beginn der 2. Weltkrieges zum 85. Mal. Über Jahre hinweg war ich selbst aktiv in der Friedensbewegung in Bremen und Oldenburg. Ich war immer dabei, am 01. September oder bei den Ostermärschen.
Am 01.September 1982, auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung gegen die Stationierung neuer Mittelstreckenraketen vom Typ Pershing II waren die Plätze voll und die Reden laut. Es gab eine vielfältige Massenbewegung.
Der völkerrechtswidrige Einmarsch von Putins Armee in die Ukraine hätte ein Fanal werden können für die Friedensbewegung in Deutschland. Doch in den vergangenen 30 Monaten hat es die deutsche Friedensbewegung nicht geschafft, größere Aktivitäten auf die Beine zu stellen. Der politische Niedergang scheint besiegelt.
Aus meiner Sicht hat das verschiedene Ursachen:
Die Friedensbewegung ist eine altgewordene, analoge Bewegung in einer zunehmend digitalisierten Welt. Die Bezeichnung „altgeworden“ ist dabei wörtlich zu nehmen: In den Friedenszusammenhängen wird allenthalben darüber lamentiert, dass die Jugend sich für das Thema Frieden nicht interessiere. In den Friedensgruppen und auf den Friedensveranstaltungen, die ich besuche, ist das Durchschnittsalter deutlich über 60 Jahre. Diese altgewordene Bewegung ist weder analog noch digital gut vernetzt; es fehlt ein organisierendes Zentrum und eine zentrale gemeinsame Positionierung.
Dazu kommt die fehlende Anbindung der Friedensbewegung in den Parteien. Hatte die Friedensbewegung der 80er Jahre noch eine klare Verankerung im linksbürgerlichen politischen Spektrum – also im rotgrünen Lager – so wird heute oft das Argument bemüht, dass die Grünen und die SPD eben zu den Bellizisten gehörten, und daher die Politik nur schwer erreichbar sei.
Entscheidend für die Isolation der Friedensbewegung ist aus meiner Sicht aber ihre ambivalente Grundhaltung gegenüber der russischen Aggression: Natürlich wird der Angriffskrieg abgelehnt. Aber gleichzeitig gibt es Verständnis für eine angeblich notwendige Widerständigkeit der Russischen Föderation gegen den Dominanzanspruch des westlichen Kapitalismus. Und der Völkerrechtsbruch wird oftmals wegrelativiert mit einem Verweis auf die schlimmeren Völkerrechtsbrüche von USA und NATO.
In den 1980er Jahren wurden die Menschen mobilisiert mit der Feststellung: Der Atomtod bedroht uns alle. Keine Atomraketen in Europa. Der Appell richtete sich ausschließlich an die Bundesregierung, die die Zustimmung zur Stationierung neuer Raketen zurückziehen sollte. Es war eine bewusste Entscheidung, keine Forderung an die UdSSR zu stellen. Das war damals richtig, denn es gab objektiv keine Bedrohungssituation. Dies konnten wir zweifelnden Bürgerinnen und Bürgern am Infostand mit Zahlen, Daten und Fakten erläutern und begreiflich machen. Wir mussten dazu viel lernen – nicht nur Zahlen, Daten und Fakten. Sondern auch erklären, warum neue Raketen keine Lösung sind.
Seit dem Angriff von Putins Armee auf die Ukraine hätte die zentrale Forderung sein müssen: Putin go home. Dass darauf nicht lautstark gepocht wurde, ist der zentrale Fehler, den die Friedensbewegung nun gemacht hat. Sie fordert nichts vom Angreifer. Sie blendet bis heute die Situation in der Ukraine aus: Angriffe auf die zivile Infrastruktur, Angriffe auf Wohngebiete. Die Friedensbewegung ignoriert auch die innenpolitische Situation in der Russischen Föderation: Die Unterdrückung der Proteste gegen den Krieg in der Ukraine genauso wie die Gesetze, die verbieten, einen Krieg auch so zu nennen.
Ich würde inzwischen sogar sagen: Der heutigen Friedensbewegung fehlt es schlicht an Empathie. So richtig es Anfang der 80er Jahre war, keine Forderungen an die sowjetische Regierung zu stellen, so falsch war es nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine, sich nicht konsequent auf die Seite der Ukraine zu stellen. Gleich nach dem Einmarsch der russischen Armee gab es in der Friedensbewegung lange und ausführliche Erklärungen, warum es zu diesem Einmarsch kommen musste: Die Einkreisung der Russischen Föderation durch die Nato ist dabei das Hauptthema. Ein völkerrechtswidriger Angriff wurde und wird so letztendlich oft zwischen den Zeilen auch legitimiert.
Ich habe mich an vielen internen Debatten beteiligt. Eine Diskussion ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Dort fielen Sätze wie: „Da werden sie dann im Fernsehen jetzt wieder Fotos zeigen mit toten Kindern“. Erst dachte ich, ich hätte mich verhört. Aber ich hatte mich nicht verhört. Der Satz war so gefallen und er sollte ein Argument untermauern, was den ganzen Abend schon im Raum war: Der Angriffskrieg der russischen Föderation, auf den ausdrücklichen Befehl von Putin, würde in den deutschen Medien als etwas Schreckliches dargestellt werden, um Stimmung zu machen gegen „die Russen“, die sich mit dem Angriffskrieg nur verteidigen würden gegen einen aggressiven Westen.
Ich finde, hier zeigt sich deutlich die fehlende Empathie für die Opfer in der Ukraine. Ich bemerkte das auch anhand der ausbleibenden Reaktion auf den Angriff auf das Kiewer Kinderkrankenhaus am 10.07.2024. Da war keine Stellungnahme in irgendeiner Form zu finden. Wer es nicht schafft, den Aggressor als solchen zu benennen, und ihn aufzufordern, nach Haus zu gehen, wird niemanden überzeugen können, auf die Straße zu gehen.
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Leonhard (Freitag, 20 September 2024 12:38)
Hallo Oli!
Ich hoffe, Dir und Deiner Familie geht es gut!
Dein Beitrag fasst sehr gut zusammen, wie ich auch denke. Vielen Dank!
Viele Grüße!
Leonhard