„Die wollen das, da kannst Du sicher sein,“ versicherte mir im Frühling ein belesener und erfahrener Hauptstadt-Journalist, mein Freund Claus Christian Malzahn. Worüber wir sprachen? Es ging um die Kindergrundsicherung, die die GRÜNEN mit Vehemenz in den Koalitionsvertrag argumentiert haben. Ich war skeptisch – und die Zeichen für die Umsetzung dieser wichtigen Reform stehen schlecht. Warum? Der Hintergrund ist ganz einfach: Mit der Kindergrundsicherung soll nicht nur die Zuständigkeit bei der Beantragung von Geldern für Kinder zentralisiert und vereinfacht werden. Nein, es geht darum, die Armut unter Kindern endlich deutlich zu reduzieren. Dieser Ansatz ist das entscheidende Einfallstor für die Gegner dieser Reform. Armut zu besiegen, bedeutet, zusätzliches Geld in die Hand zu nehmen. Denn: Wer heute von Bürgergeld leben muss, hat nichts davon, wenn Kindergeld gezahlt wird. Denn diese Zahlung verringert das Bürgergeld genau um den Betrag des Kindergeldes. Wir rechen einmal nach: Für ein Kind wird 250,00 Euro Kindergeld gezahlt. Dies ist ein sog. „vorrangige“ Leistung. Zusätzlich kann für ein Kind im Alter von 6 bis einschließlich 13 Jahre noch Bürgergeld beantragt werden – das ist 348,00 Euro. Dieser Betrag wird mit dem Kindergeld verrechnet: Es bleiben also 98,00 Euro über. Wie heisst es so schön auf der Website der Bundesagentur für Arbeit: Das Kindergeld wird unabhängig von ihrem Einkommen gezahlt. Alle, die Arbeit haben, erhalten also zusätzlich zu ihrem Einkommen das Kindergeld oben drauf. Auch die, die sehr viel Geld verdienen.
Bei den Armen in unserer Gesellschaft wird dagegen gespart. Dies sollte sich mit dieser Regierung ändern: Der Grundbetrag soll mindestens dem Kindergeld in seiner jetzigen Form entsprechen, derzeit also die 250,00 Euro pro Kind im Monat. Dieser Betrag soll alle zwei Jahre angepasst werden - und zwar anhand des Existenzminimumberichts der Bundesregierung. Der Grundbetrag soll ein „Garantiebetrag“ sein und als solcher auch nicht mit Sozialleistungen wie etwa dem Bürgergeld der Eltern verrechnet werden. Das kostet also zusätzliches Geld – noch im Dezember 2022 war sich die zuständige Ministerin Lisa Paus sicher, dass es genügend Geld dafür gibt und dass auch der Bundeskanzler hinter diesem Vorhaben steht. Im Wahlprogramm der SPD zur letzten Bundestagswahl hieß es: „Die Kindergrundsicherung besteht zum anderen aus einem neuen existenzsichernden, automatisch ausgezahlten Kindergeld, das nach Einkommen der Familie gestaffelt ist – je höher der Unterstützungsbedarf, desto höher das Kindergeld. Damit machen wir das Leben der Familien leichter, die es besonders schwer haben. Der monatliche Basisbetrag dieses neuen Kindergeldes wird bei zirka 250 Euro liegen. Der Höchstbetrag wird sich an den Ausgaben von Familien mit mittleren Einkommen für Bildung und Teilhabe orientieren und mindestens doppelt so hoch sein wie der Basisbetrag. Im Höchstbetrag sind das sächliche Existenzminimum inklusive Wohnkostenpauschale sowie Bildungs- und Teilhabekosten enthalten. Das neue Kindergeld ersetzt so den Kinderfreibetrag und bündelt bisherige Leistungen.“ Und auf der Website der SPD stehen sogar Zahlen: „400 Euro für unter Sechsjährige, 458 Euro im Alter von sechs bis 13 Jahren und 478 Euro für Kinder ab 14 Jahren.“
Wie sieht es jetzt aus? Was ist geblieben: Die Vorsitzende der SPD, Saskia Esken, und Bundeskanzler Scholz sehen schon eine Ausgabe von 6 Milliarden zusätzlich als gegeben an, weil es schon ein höheres Kindergeld und einen höheren Kinderzuschlag gibt. Fertig. Der große Wurf bleibt wohl aus: Die Reform der Struktur hätte nämlich bedeutet, dass sowohl das Kindergeld als auch die Kindergrundsicherung zusammen hätten gezahlt werden müssen … Aber das stand nicht im Programm der SPD.
Es wird noch spannend werden, wenn der Gesetzesentwurf von Lisa Paus vorliegen wird. Dann bin ich gespannt, ob die SPD sich an die Reformvorschläge erinnert, die im Wahlprogramm standen. Und sich hinter die Grünen stellen und für die Kinder kämpfen. Für mich scheint es so, dass die SPD froh ist, nicht Wort halten zu müssen. Halbherzig wurde Hartz IV reformiert, halbherzig wird jetzt die Kindergrundsicherung erledigt. Oder doch nicht? Schafft Lisa Paus es, Stück für Stück eine Reform hinzukriegen - weil alle denken, sie hätten diese schon verhindert?
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